*Der Alltag der (Un)Sicherheit. Ethnographisch-kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Sicherheitsgesellschaft
Bereits gegen Ende der 1970er Jahre wies Michel Foucault auf die Formierung
der "Sicherheitsgesellschaft" hin: Hellsichtig verwies er darauf, wie die
historischen Regierungsweisen des Gesetzes und der Disziplin durch die
Versprechen von Sicherheit und Freiheit fortgeschrieben, flexibilisierte
Mechanismen der Kontrolle und Angsterzeugung alle Bereiche alltäglicher
Milieus durchdringen würden.
Foucault beschrieb diese Machttechniken der Sicherheit als historische Effekte
des wirtschaftlichen Liberalismus, beobachtete sie jedoch auch in staatlichen
Reaktionen auf den Terrorismus. Inzwischen ist "Sicherheit" aus
unterschiedlichen interdisziplinären Blickwinkeln zum Leitbegriff etwa der
Gouvernementalitäts- und Securitization-Forschung oder der Anthropologie der
Sicherheit geworden. Zugleich bestimmen Begriffe und Konzepte im Themenfeld
der "Sicherheit" spätestens seit
9/11 auch öffentliche Wahrnehmungen und Diskurse etwa zu Kriminalität,
Religion oder Migration.
Anders als in den angelsächsischen Ländern sind jedoch die alltagspraktischen
Normalisierungen und Subjektivierungen des Sicherheitsdispositivs und sein
Eindringen in private und intime Sphären noch kaum in der deutschsprachigen
öffentlichen und kulturwissenschaftlichen Diskussion verankert. Unter
kulturanthropologischen und historischen Fragestellungen möchte sich die
Tagung daher aus zwei Richtungen der Thematik des Alltags der (Un)Sicherheit
annähern: zum einen aus der Perspektive von Politik und Institutionen, und zum
anderen aus dem Blickwinkel von AlltagsakteurInnen. Gezeigt werden soll, wie
Erfahrungen und Imaginationen von Sicherheit und Bedrohungen entstehen und
tradiert werden, wie sie in Politiken und Werkzeuge übersetzt werden und als
solche wiederum Alltagspraktiken informieren.
Die Tagung zielt darauf ab, Forschende aus Europäischer Ethnologie/
Kulturanthropologie/ Volkskunde und verwandten Fächern zusammenzubringen, die
sich aus einer spezifischen theoretischen und/oder methodologischen
Perspektive dem Thema Sicherheit widmen. Im Spannungsfeld zwischen "Security"
und "Safety" bewegen sich die Themen zwischen Forschungen zu institutionellen
und gouvernementalen Maßnahmen und Vorstellungen zum privaten und körperlichen
Wohlergehen.
Entsprechend stellen sich jeweils Fragen nach Referenzpunkten, Intentionen,
Akteuren, nach Diskursen und Narrativen, Subjektivierungsprozessen und
institutionellen Verankerungen von Sicherheit.
*Tagungsgebüh*r: ? 30,00 / Studierenden-Ermäßigung: ? 15,00
*Information und Hinweise zur Anmeldung*: http://volkskunde.uni-graz.at
*Organisation: *Prof. Dr. Katharina Eisch-Angus (Institut für Volkskunde und
Kulturanthropologie der Uni Graz), Dr. Alexandra Schwell (Institut für
Europäische Ethnologie der Uni Wien)**
**
*Kontakt, Anmeldung*: volkskunde(at)uni-graz.at. Wir bitten um Anmeldung bis
spätestens 26.10.2015
*PROGRAMM:
*
*Freitag, 06.11.2015
*
09:00 - 09:15 Eröffnung
09:15 - 10:00 *Keynote *
Mark Maguire (Maynooth): Sensing Evil: Counterterrorism techniques and
techno-science.
10:00 - 10:30 Kaffeepause
10:30 - 12:15 *Panel 1: Kontrollregime* (Moderation: Burkhard Pöttler)
Michal Chvojka: Zur Kreierung eines Foucault'schen Panoptikons. Soziale und
politische Kontrolle in der Habsburgermonarchie während der napoleonischen
Kriege und des Vormärz.
Stefan Groth: "Kein sichereres Mittel existirt zur Abwehr von allem
Lupengesindel": Zur Technisierung und Legitimierung von Sicherheits- und
Kontrollregimen um 1900.
Anna Katharina Dombrowski: Die iranische Cyber-Police als Fortführung der
staatlichen Sicherheitssidee.
12:15 - 13:45 Mittagspause
13:45 - 15:30 *Panel 2: Strategien* (Moderation: Barbara Frischling)
Christoph Paret: Empowerment durch Provokation? Ermächtigungspraktiken an der
Grenze von Selbstsicherheitstraining und Verunsicherung.
Sophia Booz: Sicherheit durch Zerstörung. Aktenvernichtung als Herstellung von
Sicherheit(en).
Niklas Barth: Unsicherheit als Ressource. Der Hausarzt und das moderne
Sicherheitsdispositv.
15:30 - 16:00 Kaffeepause
16:00 - 17:15 *Panel 3: Subjekt und Emotion* (Moderation: Katharina
Eisch-Angus)
Alexandra Schwell: Sicherheit und Angst. Überlegungen zu einem scheinbar ganz
natürlichen Zusammenhang.
Laura Thurmann: Alltägliche Unsicherheiten. Sexuelle Gewalt als
Sicherheitsrisiko für forschende Frauen.
*Samstag, 07.11.2015
*
09:00 - 09:15 Eröffnung
09:15 - 10:00 *Keynote*
Werner Schiffauer (Frankfurt/Oder): Islampolitik im Spannungsfeld von
Sicherheit und Integration. Das bürokratische Feld anhand von
Auseinandersetzungen zur muslimischen Gefängnisseelsorge in Berlin.
10:00 - 10:30 Kaffeepause
10:30 - 12:15 *Panel 4: Migration* (Moderation: Judith Laister)
Maria Schwertl: "Eurosur - Dein Feind und Helfer". Diskussionen und
Genealogien des neuen europäischen Grenzüberwachungssystems.
Lee Hielscher: Endstation der Geduld. Erkundungen in der Polizisierung des
Sozialen.
Sarah Nimführ: Alltag im Dazwischen. Über nicht abschiebbare Geflüchtete auf
Malta.
12:15 - 13:45 Mittagspause
13:45 - 15:30 *Panel 5: Übergangsräume und Verkehr* (Moderation: Johanna
Rolshoven)
Kai Nowak: "Hör auf deine Frau - fahr' vorsichtig!" Historische Perspektiven
auf die Sphäre des Privaten in der Verkehrssicherheitsarbeit.
Gerrit Herlyn: No Fly Lists, Passagierdifferenzierung, Trusted Traveler.
Zur Kulturanalyse datenbasierter Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen.
Katharina Eisch-Angus: Germanwings und das Ethnografieren der Sicherheit.
15:30 - 16:00 Kaffeepause
16:00 - 17:30 *Roundtable* (Moderation: Alexandra Schwell)
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*Wessen Sicherheit? Perspektiven im Alltag der (Un)Sicherheit*
Im Alltag treffen Ängste, Interessen und Erfahrungsweisen subjektiver und
institutioneller Sicherheit aufeinander, hier werden sie mit ihren
Widersprüchen und wechselnden Perspektiven verhandelt. Expertinnen und
Experten aus Gesellschaftswissenschaft und Kulturanthropologie, angewandter
Sicherheitsforschung und kommunaler Praxis diskutieren zu aktuellen Fragen.
U.a. mit Nils Zurawski/Universität Hamburg, Wolfgang Benedek/Universität
Graz-Forschungsplattform "Menschenrechte, Demokratie, Diversität und Gender"