Zentrum und Peripherie? Islamische Architektur im osmanischen Makedonien, 1383-1520

Das vorliegende Projekt bezweckt, eine Forschungslücke im Hinblick auf die Kenntnis islamischer Bau- und Dekorationskunst in Südosteuropa zu schließen. Die aussichtsreichen Ergebnisse vorbereitender Arbeiten verheißen eine Revision der gängigen Auffassung, die osmanische Baudenkmäler am Balkan als bloße Resonanzen von Entwicklungen versteht, die sie ursächlich in den Hauptstädten Edirne und Istanbul verortet. Die Folge war eine historiografische Marginalisierung dieses Kulturerbes. Das beabsichtigte Forschungsprojekt postuliert stattdessen eine viel dynamischere Interaktion zwischen Zentrum und Peripherie. Ferner misst das Projekt den oft nur unzulänglich bekannten Bauten auf europäischem Boden in der Gesamtentwicklung osmanischer Architektur mehr Bedeutung bei als bislang üblich.
Diese Schlussfolgerung wird durch eine kritische Neubewertung ausgewählter Werke in der Geschichtsregion Makedonien gefördert. Eine sorgfältige Prüfung der verfügbaren Dokumentation in Verbindung mit einem eingehenden Studium schriftlicher und materieller Quellen wird Eigenschaften aufzeigen, die Unterschiede zur zeitgenössischen Baukunst in anderen osmanischen Regionen bezeugen. Diese Unterschiede, die eine zeitweilige Begünstigung Makedoniens gegenüber anderen Regionen belegen, wurden bislang ob des unzulänglichen Erhaltungszustands vieler Baudenkmäler nicht wahrgenommen. Ihre ursprüngliche Beschaffenheit wurde im Laufe der Zeit durch umfassende Eingriffe in ihre Baustruktur verändert; das Wesen und die Hintergründe dieser Eingriffe wurden vergessen. So wird der Anspruch auf eine Neubewertung durch sachkundige Rekonstruktionsversuche untermauert, die auch im Zusammenhang mit der Entwicklungsgeschichte osmanischer Architektur im Allgemeinen schwer wiegen.
Neben dem beizeiten irreführenden Jetztzustand mancher Baudenkmäler wirkten forschungsgeschichtlich weitere Faktoren erschwerend. Die in Südosteuropa getätigte Forschung bewegt sich traditionell innerhalb der gegenwärtigen Landesgrenzen und verkennt somit die Grenzen des osmanischen Staats in Europa als den historisch fachgemäßen Referenzrahmen einer kritischen Formsemantik. Daneben hat auch die Vielzahl der am Balkan verwendeten Sprachen den transnationalen wissenschaftlichen Austausch maßgeblich erschwert. Grundlegende Werke der Forschungsliteratur sind so nur einem relativ kleinen Kreis von Sprachmächtigen zugänglich. Methodisch darf auch die traditionelle Betrachtungsweise infrage gestellt werden, die osmanische Baudenkmäler in Südosteuropa als quasi unausweichliche Konsequenz der Präsenz einer (fremdartigen) "Kultur" versteht statt als die Materialisierung von wissenschaftlich erfassbaren Ambitionen und Bedürfnissen von Auftraggebern, Nutzern und anderen.
Das vorliegende Projekt beabsichtigt, die erkenntnishemmende Lücke zwischen zwei Forschungstraditionen zu schließen, die sich jeweils vorrangig mit Form oder Funktion beschäftigen. Der Fortschritt wird auf einer mehrsprachigen Projektwebsite dokumentiert, die im Laufe der Studie gewonnenen Einsichten auf einem internationalen Workshop zur Diskussion gestellt. Danach werden die Erkenntnisse einer internationalen Leserschaft in Form einer englischsprachigen Monografie zugänglich gemacht. Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird maßgeblich dazu beitragen, die Position des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Wien als eine Forschungsstelle internationalen Formats im Bereich der islamischen Kunstgeschichte, für die 2012 ein neuer Lehrstuhl errichtet wurde, zu stärken. 

 

Leiter / Leiterin: 
Markus Ritter
Projektnummer: 
P 26406

Förschungsförderung: