Die Ideologie der niedrigen Gesellschaftsschichten in Byzanz

Das beantragte Projekt wird die Ideologie der niedrigen Gesellschaftsschichten in Byzanz in der Zeit von der Regierung des Herakleios (610-641) bis zur lateinischen Eroberung Konstantinopels (1204) untersuchen. In diesem Zeitraum schufen die Reduzierung der kaiserlichen Herrschaft auf die östlichen Teile des Imperium Romanum und die damit einhergehende "Hellenisierung" der kaiserlichen Regierung neue geopolitische und kulturelle Bedingungen, welche als Folge der dominanten Position der hellenischen Sprache und Kultur innerhalb des in Kleinasien und der Balkanhalbinsel bestehenden Territorialkernes des Reiches eine höhere politische, kulturelle und religiöse Kohärenz förderten.
Ziel ist es, die Frage der Assimilation und/oder Diversifizierung der niedrigen Gesellschaftsschichten in Hinblick auf die herrschende Kaiserideologie zu klären bzw. die Wahrnehmung der zentralisierten Kaisermacht durch die einfachen Menschen, insbesondere fernab von Konstantinopel, zu erforschen. Im einzelnen geht es um das Bild des Kaisers bei der Provinzbevölkerung, die Wahrnehmung des kaiserlichen "Staatsapparates", also der römischen politischen und gesetzlichen Sozialordnung, durch die einfachen Leute, und den politischen und kulturellen Inhalt der "Romanitas" als kollektive Identität. Die Arbeitshypothese ist, dass die Reichsbevölkerung aus ideologischer Sicht nicht so kohärent war, wie aus den Berichten der in Konstantinopel verfassten historiographischen Quellen zu schließen wäre. Die potentielle ideologische Differenzierung bzw. Abweichung oder Diskrepanz in Hinblick auf die herrschenden Kaiserideale soll daher anhand der folgenden Dichotomien aufgeklärt werden: herrschende Klasse vs. niedrige Gesellschaftsschichten, Zentrum vs. Peripherie, dominante Ideologie vs. oppositionelle bzw. abweichende Ideologien, einheitliche Identität vs. diskrepante Identität. Die Arbeitsmethode beruht auf dem Verständnis des Begriffes Ideologie als analytisches Konzept, welches nicht lediglich Ideen und Vorstellungen der herrschenden Klasse, sondern der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit betrifft und sich in einer dialektischen Beziehung zu Macht und gesellschaftlicher Stratifikation befindet. Eine gründliche Lektüre der schriftlichen Quellen zielt in erster Linie auf hagiographische und diesen verwandte Texte, welche die soziale Aktivität und die Interessen der einfachen Leute der Peripherie erblicken lassen, um eine kritische komparative Auswertung dieses Materials mit jenem aus den historiographischen sowie anderen Quellen zu ermöglichen, welche vorrangig die kaiserliche Ideologie reproduzieren.
Die angestrebten Ergebnisse werden neue Erkenntnisse über die Systeme ideologischer Vorstellungen der niedrigen Gesellschaftsschichten in Byzanz liefern und die bereits vorhandenen Studien zur jeweils herrschenden Ideologie ergänzen. Dadurch wird das Bild der Ideologie der byzantinischen Gesellschaft vom 7. bis zum 12. Jahrhundert entscheidend vervollständigt, wobei die interdisziplinäre Forschung zwischen der Byzantinistik, den Mediterranen Studien und der Sozialgeschichte vorangetrieben wird. 

Leitung: Johanna Koder

Projektnummer: 
P 24752

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