Entwicklungsexpert/inn/en in der Zeit der "West-Ost" Systemkonkurrenz

Seit einem halben Jahrhundert soll die Entsendung von Expert/inn/en Entwicklung in jenen Gesellschaften befördern, die eine solche Intervention aufgrund von Entwicklungsrückständen nötig zu haben scheinen. Die beiden konkurrierenden Weltsysteme hatten je eigene Modelle von "Entwicklung" und entsprechende Formen von "Entwicklungshilfe" entwickelt, die universelle Geltung beanspruchten. In dem Projekt soll der "Entwicklungshilfe"sektor der beiden Konkurrenzsysteme auf der Ebene der im Bereich der "technischen Hilfe" in die Einsatzländer entsandten Expert/inn/en, Berater, Spezialisten verglichen werden. Die "technische Hilfe" (heute: "technische Zusammenarbeit") oder, in der Terminologie der DDR, die "wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit" und "kulturell-wissenschaftliche Zusammenarbeit" basierten auf der Vorstellung, dass "Entwicklung" durch einen Wissensrückstand gehemmt wird. Dieser Rückstand soll durch einen Wissenstransfer behoben und dieser Wissenstransfer im Wesentlichen durch die Entsendung von Experten bewerkstelligt werden. Dabei geht es nicht nur um den Transfer von technischem know how, sondern auch von Einstellungen, Praktiken und Verhaltensweisen, die einen sinnvollen Gebrauch dieses technischen know how erst ermöglichen. In einem größeren Maßstab gesehen, ging es dabei letztlich um die Einbindung in eines der beiden Weltsysteme. Als Entwicklungsexpert/inn/en werden jene Experten, Berater, Spezialisten verstanden, die berufsmäßig ihr spezialisiertes Wissen zu Anwendungszwecken im Bereich der "Entwicklungshilfe" (mit der Veränderung der Begrifflichkeit zu "Entwicklungszusammenarbeit" im Lauf der 1980er Jahre ist ein Wandel der Konzeption verbunden, der "Empfänger" von "Hilfe" zu "Partnern" einer "Zusammenarbeit" macht) oder, in der Terminologie der DDR, der "sozialistischen Hilfe" vermittelten.
Im Zentrum des Projekts steht ein Vergleich zwischen entsandten Entwicklungsexpert/inn/en der beiden deutschen Staaten. Vergleichsebenen sollen durch folgende Leitfragen eröffnet werden: Welche Typen von Experten kamen zum Einsatz, welche Ziele verfolgten diese, zu welchen Aufgaben wurden sie eingesetzt? Was war der Rahmen erwünschter und vorgeschriebener Verhaltensweisen? Welche Lebensweisen entwickelten diese global mobilen Personen? Wie unterschieden sich ihre jeweiligen Lebensweisen in den Einsatzländern? Welche Gemeinsamkeiten ergaben sich auf Basis eines gemeinsamen Sockels an Einstellungen und Praktiken von "Entwicklung" über die Systemgrenzen hinweg? Ergaben sich ähnliche Probleme des Transfers und der interkulturellen Kommunikation? Welche lebensweltlichen Transfers wurden bewerkstelligt? Welchen Einfluss hatte die Tätigkeit, andere Menschen zu "entwickeln", auf die "Selbstentwicklung" der Entwicklungsexpert/inn/en?
Spezielle Aufmerksamkeit soll den Entwicklungsexpert/inn/en als Vektoren der Verbreitung von Wissen und Einstellungen, von kulturellen Praktiken und von Lebensformen gewidmet werden. Im Zuge des Vergleichs soll herausgearbeitet werden, in welchen Bereichen und wie die praktische Tätigkeit von Entwicklungsexperten vor Ort Transfers bewerkstelligte und wie dieser Prozess auf sie zurück wirkte. Das Projekt konzentriert sich exemplarisch auf die Entwicklungspolitik der BRD und DDR mit Ländern Afrikas und Lateinamerikas. Der zeitliche Rahmen reicht vom Beginn der 1970er Jahre bis zum Ende des "sozialistischen Weltsystems" 1990. 

 

Leiter / Leiterin: 
Berthold Unfried
Projektnummer: 
P 25949

Förschungsförderung: