Antisemitismus nach der Shoa in Nachkriegsösterreich 1945-1960

Das Jahr 1945 war – trotz aller Umbrüche und Veränderungen – keine "Stunde Null". Obwohl die Shoah in vielerlei Hinsicht eine entscheidende Zäsur bedeutete, war Antisemitismus nach 1945 nicht spurlos verschwunden, sondern lebte in verschiedenen Formen und Bereichen fort.

Das Projekt beschäftigt sich mit Antisemitismus in Nachkriegsösterreich allgemein und im Milieu der ehemaligen Nationalsozialisten im Besonderen. Dazu werden die antisemitischen Vorfälle und Äußerungen in der Nachkriegszeit rekonstruiert und genau analysiert. Unter anderem wird nach den (Haupt)Trägern und den Zielobjekten des Antisemitismus gefragt. In diesem Zusammenhang werden auch die zwei zentralen Thesen zum Nachkriegsantisemitismus ("Antisemitismus ohne Juden" und "Antisemitismus ohne Antisemiten") kritisch hinterfragt. Es wird untersucht, welche alten antisemitischen Klischees und Argumentationsmuster den Nationalsozialismus überdauert haben und welche neuen Formen ("sekundärer Antisemitismus") sich nach der Shoah finden? Im Projekt ist auch eine politische Kontextualisierung vorgesehen, d.h. der antisemitische Diskurs im "Ehemaligen"-Milieu wird in den allgemeinen Nachkriegsdiskurs über "Juden" eingeordnet. Dabei wird nach Unterschieden und Überschneidungen gefragt und erstmals werden auch kritische Gegendiskurse miteinbezogen. Schließlich geht das Projekt auch über den österreichischen Rahmen hinaus. Durch einen transnationalen Vergleich mit Deutschland nach 1945 sollen Ähnlichkeiten und Unterschiede im Umgang mit Juden und Antisemitismus in diesen zwei NS-Nachfolgestaaten herausgearbeitet und nach möglichen historischen, politischen und sozialpsychologischen Gründen dafür gefragt werden.

Im Projekt werden drei konkrete Aktionsfelder/Diskursebenen der "Ehemaligen" untersucht: 1) die private und soziale Ebene ("Binnendiskurs) am Beispiel von NS-Familien und der "Glasenbacher", 2) die politische Ebene (Außendiskurs) am Beispiel des VdU und der FPÖ) und 3) der öffentliche und mediale Gegendiskurs. Diese verschiedenen, teilweise ineinander übergehenden Diskursebenen werden verglichen und miteinander verknüpft. Ein zentraler Aspekt der Untersuchung ist der "double speak" im Milieu der ehemaligen Nationalsozialisten, d.h. die vermutete Diskrepanz zwischen dem Binnen- und Außendiskurs in Bezug auf das Themenfeld "Juden" und Antisemitismus.

Der Untersuchungszeitraum von 1945-1960 kann als wichtige Formierungsphase der österreichischen Vergangenheitspolitik gesehen werden und gliedert sich in drei Phasen (1945-1947; 1948-1955, nach 1955), die auf die zentralen Forschungsfragen hin untersucht werden. Das Projekt basiert auf vielen verschiedenen Quellen, wie z.B. zeitgenössische Medien (Medien der ehemaligen Nazis, allgemeine Nachkriegspresse, jüdische Medien…), verschiedene Archivquellen (NS Dokumente, US-Army-Dokumente, Entnazifizierungsakten, Material zu Glasenbach, Parteiakten zu VdU, FPÖ etc.), autobiographische Quellen (Memoiren ehemaliger Nazis, Interviews, Nachlässe) und publizierten Quellen z.B. Parlaments- und Ministerratsprotokolle, US-Berichte...).

Mit der Untersuchung wird nicht nur eine beträchtliche Forschungslücke gefüllt sondern auch ein empirisch und theoretisch fundierter Beitrag zur Antisemitismusforschung geleistet. Das Projekt versteht sich als erster Schritt für eine noch ausstehende umfassende Geschichte des Antisemitismus nach der Shoah in Österreich.

Verortung: 
Österreich
Zeitangaben: 
Samstag, Oktober 18, 2014
Leiter / Leiterin: 
Margit Reiter
Projektnummer: 
P 27102

Förschungsförderung: