Musikalische Transferprozesse zwischen Byzanz und dem Westen

Mit dem Terminus „Missa graeca“ werden Gesänge (Gloria/Δόξα [Doxa], Credo/Πιστεύω [Pisteuo], Sanctus/Ἅγιος [Hagios] und Agnus Dei/Ἀμνὸς τοῦ θεοῦ [Amnos tu theu]) des römischen Ordinarium missae mit griechischem Text in lateinischer Transliterierung bzw. Übersetzung bezeichnet, die sich in westlichen Choralhandschriften des 9. bis 11. Jhds. finden. Neben der Missa graeca gibt es noch eine große Zahl an wei- teren bilingualen griechisch-lateinischen Gesängen, die in westlichen Handschriften enthalten sind und bislang noch nicht in Bezug zu dieser gesetzt wurden. Dazu zählen u.a. die Gesänge der Kreuzverehrung am Karfreitag, die Hodie-Antiphone von Weihnachten, Ostern und Pfingsten, die zweisprachigen Alleluia-Verse für Weihnachten, die Antiphone des sog. Veterem hominem-Zyklusʼ für die Epiphanie-Oktave und der Cherubimhymnus („Cherubikon“).

Ziel des Projektes ist es, einer Lösung der zahlreichen Fragen und widersprüchlichen Theorien zu Her- kunft, Entstehung und Ausformung der sog. Missa graeca und jener bilingualen griechisch-lateinischen Ge- sänge, die sich neumiert ebenfalls in westlichen Handschriften finden, einen signifikanten Schritt näher zu kommen: Dabei zielt das Projekt konkret darauf ab, den seit langem ausstehenden direkten Vergleich von li- turgischen Gesängen des Ostens und Westens zu erbringen, um derart neue Erkenntnisse zu gemeinsamen Wurzeln und Ausformungen der liturgischen Musik Byzanzʼ und des Westens zu gewinnen und neue Per- spektiven des Transfers zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen im Mittelalter aufzuzeigen.

Auf der Basis eigener Transkriptionen und Analysen wird das Projekt erstmalig – da es bislang lediglich Studien zu einzelnen Aspekten dieses Themenkomplexes gibt – eine Gesamtschau zur Missa graeca und den bilingualen Gesängen in einer eigenen Monographie bringen, die weiteren Forschungen als Ausgangspunkt und fundiertes Nachschlagwerk dienen soll.

Ziel des Projekts ist es weiters, die relevanten Fragestellungen zu griechischen Gesängen in lateinischen Handschriften erstmals aus byzantinistischer Sicht und unter Heranziehung byzantinischer Quellen zu hinter- fragen und neu zu bewerten – bislang wurden diese Forschungen nämlich fast ausschließlich von westlicher Seite aus betrieben. Mithilfe dieses neuen Zugangs will das Projekt weiters belegen, daß die Erforschung by- zantinischer Musik bedeutende Aufschlüsse für die westliche liturgische Musik bringen kann. Das Projekt ist daher insofern von großer Bedeutung, als es einen wichtigen Beitrag leisten wird, um die byzantinische Mu- sikologie, die noch immer eine Randstellung innehat, verstärkt in den Kanon der europäischen, historischen Musikwissenschaft einzugliedern. 

 

Projektnummer: 
P 27115

Förschungsförderung: