Personal und Organisation des Wiener Hofes 1715-1806
Überraschend ungenügend ist die personelle Zusammensetzung des Wiener Hofes - immerhin eines der wichtigen europäischen Entscheidungszentren in der Frühen Neuzeit - erforscht. Detaillierte Untersuchungen über die Organisationsstruktur des wichtigen Obersthofmeisteramtes stehen ebenso aus, wie eine Prosopographie des Wiener Hofes jemals auch nur ansatzweise erarbeitet wurde. Die Prozesse der Entscheidungsfindungen bei Hof sind bislang deshalb kaum untersucht worden - wichtige Grundlagenforschungen für den Wiener Hof stehen daher noch aus.
Vor allem auf der Grundlage der "Hofkalender" und der als Supplikationsregister anzusprechenden "Hofparteienprotokolle" versucht das beantragte Projekt einerseits eine Datenbank der Personalstruktur des Wiener Hofes (1715 -1806) mit geschätzten 11.000 Personen in rund 400 verschiedenen Funktionseinheiten, andererseits gestützt auf die Datenbank eine monographische Auswertung des Materials (mit Hilfe von Organigrammen) zu erstellen. Eine erste Pilotstudie (Hofstruktur 1715 -1740) von Mag. Irene Kubiska hat die Machbarkeit der geplanten Projektziele eindrucksvoll belegt. Am Ende des Projektes steht die fundierte Erforschung der Größe, der Sozialstruktur und der Geschlechterverhältnisse des Hofpersonals, eine bessere Kenntnis der Karrieremuster, der Hierarchien, der Gnadenpraxis und der sozialen Netzwerke bei Hof sowie eine Geschichte der Ablauforganisation der Hofverwaltung. Die nunmehr als Edition aufgearbeiteten Instruktionsbücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert geben den Rahmen für die inhaltlichen Analysen vor. Die umfangreichen Supplikationsregister am Wiener Hof werden zudem ein neues Bild über den "Dienstgeber" Hof erlauben: Sowohl die diskursiven Strategien der Bewerber um Positionen bei Hof als auch der Hofzentralstellen selbst (etwa bei Pensionierungen, bei Beförderungen, Versorgung von Witwen etc.) sollten durch das beantragte Projekt transparenter werden. Gängige frühneuzeitliche Forschungskonzepte wie Konfessionalisierung, Rationalisierung, Professionalisierung und Spezialisierung können am Beispiel des Wiener Hof damit qualifiziert diskutiert werden. Das hier vorgestellte Forschungsprojekt dient außerdem dazu, den Wiener Hof mit anderen höfischen Institutionen in Europa vergleichbar zu machen, was derzeit aufgrund der mangelnden Kenntnis über seine grundlegenden Prinzipien und Arbeitsweisen kaum möglich ist.