Der Ostalpenraum revisited: Kontinuität und Wandel von Spätantike zum Mittelalter
Der Ostalpenraum verzeichnet in der Zeit des Übergangs von Spätantike zu frühem Mittelalter eine wechselhafte Geschichte. Die größtenteils in den Alpen gelegene Provinz Noricum Mediterraneum hatte noch im endenden 5. und beginnenden 6. Jh. starke Verbindungen zum italisch-römischen Kulturraum, wie sowohl historische als auch archäologische Quellen zeigen. Nach den gotischen Kriegen sowie der langobardischen Eroberung großer Teile der italischen Halbinsel verschwindet der Raum aus den Quellen. Für das 7. Jh. gibt es nur mehr vage Hinweise auf den Ostalpenraum, die darauf deuten, dass die Region von slawischen Gruppen kontrolliert wurde. Diese befanden sich in einer schwer definierbaren Abhängigkeit zum awarischen Khaganat. Die archäologischen Quellen verschwinden ebenso und werden undeutlich. Im 8. und 9. Jh. erscheint der Raum wieder in den schriftlichen Quellen: als slawisches, heidnisches Herrschaftsgebiet. Gleichzeitig gibt es wieder mehr und eindeutigere archäologische Funde.
Für diesen kulturellen und politischen Wechsel von römischer Kultur zu "Barbarentum" - in der Forschung oft als kompletter Bevölkerungswechsel dargestellt - wurde die Eroberung des Raumes durch Awaren und Slawen um das Jahr 600 verantwortlich gemacht. Einst wurde dafür die Bezeichnung "Landnahme" verwendet, heute jedoch tendiert man zu einem multi-ethnischen Konzept. Nach wie vor sind die genauen Mechanismen dieser Transformation jedoch kaum erforscht.
So mehren sich beispielsweise die Hinweise, dass es schon ab Mitte des 6. Jh. einschneidende Veränderungen gegeben hatte - einer Zeit, in der Awaren und Slawen noch weit entfernt waren. Was hatte dann diese Veränderungen verursacht? Was für eine Auswirkung hatten sie und die folgenden Entwicklungen auf die Bevölkerung des 6. Jh.? Wurden die Eliten zerstört und neue geformt oder gab es Verbindungen und Kontinuitäten zwischen diesen Eliten? Was für einen Einfluss hatte das auf die Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung der ostalpinen Bevölkerung - sowohl der einheimischen als auch der zugezogenen? Wie kann man die Identitäten dieser Bevölkerung beschreiben? Die schriftlichen Quellen der Zeit nutzten Bezeichnungen, die stets mehr als nur einen Sinn und Zweck hatten. In den Ostalpen war es vor allem die Mission Salzburgs, die die erhaltenen schriftlichen Quellen produzierte - wie vertrauenswürdig sind diese Nachrichten? Und schließlich: was war die ökonomische Basis der Bevölkerung und warum waren, nach archäologischen und historischen Quellen, die Eliten sowohl im 6. als auch im 8. Jh. relativ wohlhabend - im 7. Jh. gibt es jedoch keine Spur von Reichtum?
Aufgrund der Quellenarmut in diesen Jahrhunderten kann nur eine gemeinsame Forschungsstrategie und Synthese von Geschichte und Archäologie diese Transformationen erklären und damit zu einem besseren Verständnis zur Bildung der mittelalterlichen Gesellschaft in den Ostalpen führen. Von einer engen Zusammenarbeit beider Fächer sowie der Entwicklung und Erprobung interdisziplinärer Methoden ist mit Sicherheit ein großer Erkenntnisgewinn zu erwarten.
Aus diesem Grund wird das Projekt von archäologischer und historischer Seite gemeinsam unter der Leitung von C. Theune-Vogt und M. Diesenberger beleuchtet. Die Projektmitarbeiter haben bereits ausführliche Forschungen zu dem Thema betrieben und in Folge gemeinsame Fragestellungen entworfen, welche als Ausgangspunkt für die geplanten Forschungen dienen. K. Winckler schrieb eine Monographie über die Alpen in den Jahren 500 bis 800 sowie zwei Artikel zum Thema (Veröffentlichung 2011), S. Eichert veröffentlichte eine Monographie zu den frühmittelalterlichen Funden Kärntens (2010) sowie zahlreiche einschlägige Artikel.