Oxforder Theologie des 14. Jahrhunderts an der Universität Wien

Das göttliche Wissen ist im Mittelalter Gegenstand von grundlegenden Auseinandersetzungen an den zwei wichtigsten Universitäten Westeuropas, in Paris und Oxford, gewesen. In Oxford haben sich von Wilhelm von Ockham bis Thomas Bradwardine die theologischen Debatten insbesondere dem göttlichen Wissen von den zukünftigen kontingenten Ereignissen gewidmet. Der Einfluss der damit verbundenen Diskussionen oder der subtilitates anglicanae auf den europäischen Kontinent ist im Falle der Universität von Paris eine nachgewiesene Tatsache. In diesem Projekt möchte ich mich mit der Rezeption der Oxforder Debatten an der theologischen Fakultät der ältesten Universität des deutschen Sprachraums, Wien, in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens befassen.

In den in Wien verfassten theologischen Texten nimmt die Diskussion über das göttliche Wissen tatsächlich breiten Raum ein: Heinrich von Langenstein in seinem Genesis-Kommentar, Heinrich Totting von Oyta in Quaestio 10 zu Buch I der Sentenzen oder Disputationen an der Theologischen Fakultät haben sich mit dem Umfang und dem Einfluss des göttlichen Wissens beschäftigt. In der Diskussion dieser Themen zeigen die Wiener Theologen eine gründliche Kenntnis des einschlägigen Oxforder Denkens, wie es Zitate aus Werken des Robert Holcot, Thomas Buckingham oder Richard FitzRalph zeigen.

Das Projekt widmet sich also der Periode von der Gründung der Theologischen Fakultät der Universität Wien (1384) bis ungefähr zum Ende des Großen Abendländischen Schismas (1417). Das zu untersuchende Textcorpus besteht aus den vorwiegend handschriftlich überlieferten akademischen Schriften der ersten zwei Generationen der Wiener Theologen – von Heinrich von Langenstein bis Petrus von Pulkau – und den anonymen und kollektiven Werken der Theologischen Fakultät. Das Projekt analysiert dementsprechend (1) die Bibel-Kommentare, (2) die Sentenzenkommentare, und (3) die Disputationen.

Das Projekt will einen wesentlichen Beitrag zur intellektuellen Geschichte des Mittelalters liefern. Indem es ein großes Corpus von zum überwiegenden Teil ungedruckten theologischen Werken untersucht, setzt es sich zum Ziel, die Oxforder Thesen einerseits und ihre Wiener Rezeption andererseits zu erfassen, d.h. am Beispiel der Lehre vom göttlichen Wissen sowohl Abhängigkeit als auch Eigenständigkeit zu entdecken und näher zu bestimmen. Diese Betrachtungsweise soll erstmals dadurch vertieft werden, dass sie nicht nur synchron, sondern auch diachron – durch einen Vergleich des Denkens von zwei Theologengenerationen – und anhand von sowohl Bibel- und Sentenzenkommentaren, als auch von Disputationen durchgeführt wird. 

Leiterin: Edit Anna LUKÁCS

 

Projektnummer: 
V 356

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