Nationalisierung von Kindern/Jugend in europäischen Grenzregionen

Unter der Annahme Geschichte sei national, haben Historiker lange Zeit die Homogenität von Nationalstaaten als Axiom betrachtet. Die Forschung hat auf die Beschränkung von Nationalisierung und auf die Beweglichkeit nationaler Identitäten in Grenzregionen hingewiesen. Für die weitere Erforschung empfiehlt sich die Erarbeitung des Ausmaßes, das Nationalisierungspolitiken als Faktor innerhalb sozialer Lebenswelten von Einwohnern in Grenzgebieten eingenommen haben. Obwohl Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren im 20. Jahrhundert eine vorrangige Rolle im Sinne einer nationalen Ressource zukam, steckt die Forschung zur Nationalisierung der Kinder und Jugendlichen europäischen Grenzregionen mittels des Top-down und Bottom-up- Ansatzes noch immer in ihren Anfängen.

Dieses Projekt vergleicht Nationalisierung, nationale Identifikation und soziale Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, die im 20. Jahrhunderts in annektierten Grenzregionen Europas aufgewachsen sind. Dabei geht es um die Bereiche (1) Bildung, (2) Organisationen und (3) Familie, die durch die Analyse von Parametern wie (a) Sprachgebrauch, (b) Elitenbildung, (c) sozialem Aufstieg, (d) Freizeitgestaltung und (e) Familienleben nachhaltig bearbeitet werden. In der Studie werden zwei Fallstudien der Regionen Eupen-St.Vith-Malmedy (Belgien) und Ostoberschlesien (Bezirk Libliniecki, Polen) untersucht, die einen diachronen Vergleich von zwei Nachkriegsperioden (1920/22-1939/40 und 1944/45-1960) ermöglichen.
Das Projekt versucht zu prüfen auf welche Art und Weise versucht worden ist, Kinder und Jugendliche durch Nationalisierungkampagnen zu vollen Mitgliedern einer Nation zu erziehen und auch wie die Betroffenen Affirmation praktizierten bzw. Distanz zum Nationalisierungsbestreben zum Ausdruck brachten. Praktiken und soziale Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen werden aufgezeigt, Ähnlichkeiten und Unterschiede für beide Fallstudien verdeutlicht. In diesem Sinne zeigt sich, inwiefern die Historiographie durch einen Fokus auf die Jüngsten einer Gesellschaft gewinnen und teildisziplinäre Lücken zwischen west- und osteuropäischer Geschichte schließen kann.
Das Projekt stellt eine soziologisch historische Studie zu Kindern und Jugendlichen in europäischen Grenzregionen des 20. Jahrhunderts dar. Während die sozialhistorischen Arbeiten gemeinhin den Fokus auf Strukturen legen, hebt dieses Projekt die Beziehung zwischen Strukturen und Praktiken von Kindern und Jugendlichen im Umgang mit den Strukturen hervor. Aus diesem Grund werden verschiedene Forschungsrichtungen einbezogen: (1) Nationalisierung, (2) Alltagsgeschichte, (3) Grenzregionen im Vergleich (4) Oral History/Erinnerungskultur Es werden (a) Literaturstudium, (b) Archivquellen zu Politiken der Nationalisierung, die mit Kindern und Jugendlichen in institutionalisierten Strukturen durchgeführt worden sind und (c) (un-)publizierte autobiographische Schriften und (d) eigens durchgeführte und bereits transkribierte Interviews mit Überlebenden in diesem Projekt miteinander verknüpft.
Eine ausgewogene Balance zwischen Konkretheit und Abstraktion wird zu einem vertieften Verständnis darüber führen, wie nationale Identifikation und soziale Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen in den Fallstudien in einem wechselseitigen Verhältnis standen. Die Ergebnisse werden in Form einer Habilitation/einer zweiten Monographie mit Ende dieses Stipendiums präsentiert. 

 

Leiter / Leiterin: 
Machteld Venken
Projektnummer: 
V 360

Förschungsförderung: