Leben und Arbeiten in einer ´Ausgedingerökonomie´: ländliches Ausgedinge 1650-1800

Erbschaftspraxis und Besitztransfer in frühneuzeitlichen europäischen Gesellschaften stellen einen Schwerpunkt der gegenwärtigen Sozialgeschichte und ‚rural history‘ dar. Die Resultate stellen traditionelle Interpretationen der Bevölkerungs- und Agrargeschichte in Frage, die von rigiden Erbrechtssystemen, starker institutioneller Kontrolle und einer Verbindung zu einer demographischen ‚Homeostasis‘ ausgingen. Neuere Forschungen beziehen sich besonders auf die Dynamik des Besitztransfers und auf eine akteurszentrierte Perspektive auf die beteiligten Individuen und ihre Familien. Ausgehend von den theoretischen und methodischen Innovationen der Mikrogeschichte sowie der Historischen Anthropologie, zielt das Projekt in vergleichender europäischer Perspektive auf die Analyse der Struktur von Ausgedingeregelungen und, als Schwerpunkt, deren Implikationen für den materiellen und sozialen Status der Ausgedinger unter Berücksichtigung des ländlichen Besitztransfers in ausgewählten Regionen im frühneuzeitlichen Niederösterreich ab. Das Projekt hinterfragt bisherige Interpretationen, die Ausgedingeregelungen lediglich als Transferleistungen des neuen Besitzers an die Altenteiler auf ‚Vollbauernhöfen‘ betrachteten. Die Analyse baut im Unterschied dazu auf die Hypothese, dass die Ausgedinger ihr aktives Erwerbsleben nicht mit dem Besitztransfer beendeten. Die im Ausgedinge festgelegten Ressourcen einer ‚Altenteilerökonomie‘(Vieh, Land, Gärten usw.) trugen zur eigenen Subsistenzsicherung bei. Es soll gezeigt werden, dass das Ausgedinge – wenn auch auf einer verminderten wirtschaftlichen Basis – die Fortsetzung des selbständigen Lebensunterhalts im Alter bedeutete. Die Forschungsergebnisse werden in eine Neubewertung der wirtschaftlichen Situation und des gesellschaftlichen Status im Alter in frühneuzeitlichen ländlichen Gesellschaften einfließen und insbesondere auch die Erfahrungen älterer Frauen und Witwen in dieser Hinsicht berücksichtigen.

Der Vergleich beruht in komparativer Perspektive mit Studien zu anderen Teilen Europas auf einer einheitlichen Analyse zweier Regionen: eine traditioneller Mischlandwirtschaft mit proto-industriellem Gewerbe und eine mit stärker kommerzialisiertem Getreide- und Weinbau. Die Quellenbasis sind Kauf- und Gewerbücher (Besitztransferregister), Inventurprotokolle und weitere Dokumente aus der grundherrschaftlichen und dörflichen Verwaltung wie etwa Gerichts- und Heiratsprotokolle oder Testamente. Methodisch stehen eine quantitative Analyse der Strukturen von Ausgedingeregelungen und ihr Wandel über Zeit vor dem Hintergrund der bestehenden Besitztransfermuster im Mittelpunkt. Eine detaillierte qualitative Analyse des Materials beruht auf den weiterführenden Informationen der Kauf- und Ausgedingeverträge. Die Verbindung zwischen quantitativen und qualitativen Zugängen setzt auf der Haushalts- und Familienebene an und konstituiert den akteurszentrierten analytischen Zugriff. Die Ergebnisse des Projekts werden zum besseren Verständnis der Situation im Alter im Kontext der Dynamik des Besitztransfers sowie der Erbschaftspraxis in frühneuzeitlichen ländlichen Gesellschaften Europas beitragen. 

 

Zeitangaben: 
Freitag, Mai 1, 2015 to Montag, April 30, 2018
Leiter / Leiterin: 
Dana Cerman-Stefanová
Projektnummer: 
P 27009

Förschungsförderung: