14.03.2014

Vortrag von Hasso Spode: Romantische Zeitreise. Eine Theorie des Tourismus

Der Forschungsschwerpunkt Wirtschaft und Gesellschaft aus historisch-kulturwissenschaftlicher
Perspektive und das Institut für Europäische Ethnologie laden ein zum Vortrag von

Hasso Spode
Romantische Zeitreise. Eine Theorie des Tourismus

Der Tourismus ist die historisch jüngste Form horizontaler Mobilität und kann geradezu als ein
Leitfossil der Moderne fungieren. Sein Ursprung ist in einem romantischen Weltwissen zu suchen,
das im 18. Jahrhundert im Kontext einer Zivilisationsdynamik emergent wurde, die sowohl in psy-
chischer Hinsicht neuartige Verhaltenszwänge als auch in kognitiver Hinsicht neuartige Ordnungen
des Wissens hervorbrachte. Die touristische Reise (die bis ins späte 19. Jahrhundert nur des Som-
mers stattfand) kann dabei als eine Zeitreise in eine vermeintlich noch „natürliche“ und daher „au-
thentische“ Vergangenheit dechiffriert werden, deren Ziel ein verzeitlichter „anderer Raum“ ist, also
eine „Chronotopie“. Dabei wollen wir selbstredend nicht wirklich ‚zurück‘ in die „Natur“, in die „Ver-
gangenheit“. Was wir wollen, ist eine technisierte Natürlichkeit, eine künstliche Echtheit: Freiheit und
Sicherheit zugleich. Der „Kulturmensch“, sagt Freud, habe Freiheit gegen Sicherheit eingetauscht – um
sich dann bitter über die wachsende Unfreiheit zu beklagen. Der Tourismus ist das Produkt dieser
höchst ambivalenten Seelenlage.

Hasso Spode, apl. Professor für Historische Soziologie an der Leibniz-Universität Hannover, Leiter des
„Historischen Archivs zum Tourismus“ an der TU Berlin, Herausgeber des Jahrbuchs „Voyage“, Arbeits-
schwerpunkte: Historische Anthropologie, Kultur- und Sozialgeschichte, Zeitdiagnostik, Suchtforschung
und Historische Tourismusforschung